(Foto: Angolanische Gemeinde, Zürich)
«Der Gottesdienst beginnt um 12 Uhr. Aber er ist ganz auf Twi», antwortete mir der Pastor. Eigentlich wollte ich diese Gemeinde einer weltweiten Denomination aus Ghana kennenlernen. Aber war ich wirklich willkommen?
Ich schrieb ihm zurück, dass ich gerne komme, auch wenn ich nicht viel verstehe. «Wir können einen Übersetzer für dich finden», kam postwendend zurück. Als ich am Gottesdienstort im Industriegebiet in Zürich-Nord eintraf, wurde mir ein kleines Gerät mit einem Kopfhörer für ein Ohr in die Hand gedrückt. Die Gemeinde war offensichtlich gut ausgerüstet. Eine jüngere männliche Stimme übersetzte sehr flüssig auf Englisch. Ich sah aber nie, wer da meinen fehlenden Sprachkenntnissen aushalf. Eigentlich schade, ich hätte mich nach dem Gottesdienst gerne bedankt.
Mit der Zeit wurde es immer anstrengender, mich auf mein linkes, englisches Ohr zu konzentrieren. Von rechts kam Twi über die Lautsprecheranlage des Saals. Aber ich bekam immerhin einigermassen mit, was im Gottesdienst passierte. Kurz vor Schluss bemerkte ich einen afrikanischen Mann, der denselben Kopfhörer im Ohr hatte wie ich. Äusserst diskret. Bei mir weniger, weil ja meine Hautfarbe vermuten liess, dass ich eine Übersetzung benötigte. Später erfuhr ich, dass jeden Sonntag für ein paar wenige Leute aus anderen afrikanischen Ländern übersetzt wird. Nach dem Gottesdienst war die Sprache dann kein Problem mehr: Alle, mit denen ich ins Gespräch kam, sprachen Englisch, ein paar Jüngere Schweizerdeutsch.
Wenn man die Sprache nicht gut kann
Auf dem Heimweg dämmerte es mir, dass ich gerade etwas erlebt hatte – mit umgekehrten Vorzeichen –, das für einige Migranten in Schweizer Kirchen eine regelmässige Erfahrung ist. Sofern eine Übersetzung angeboten wird, soll sie möglichst unauffällig sein und den Gottesdienstablauf nicht beeinträchtigen. Aber wenn sie nicht sichtbar sein darf, so schreibt Jonathan Downie in seinem 2024 erschienenen Buch über «Multilingual Church» (Mehrsprachige Kirche), dann will die Gemeinde die Übersetzung nicht wirklich. Und trotz aller Diskretion fühlen sich diejenigen, die auf sie angewiesen sind, ausgesondert.
Vor ein paar Jahren erzählte mir der Pastor einer Kirche mitten in einer Schweizer Stadt, dass bei ihnen Migranten sehr willkommen seien, aber nur solche, die sich integrieren wollen. Deshalb würden sie auch keine Übersetzung anbieten, ausser für Neue in einer Ecke während einer kurzen Zeit.
In der Gesellschaft führt kein Weg an Integration vorbei, wenn man Teil des Schweizer Lebens werden will. Aber gilt das auch für den Zugang zum Evangelium? Muss man zuerst Deutsch lernen, um von Jesus hören zu können? Im erwähnten Buch stellt Downie fest, dass eine Gemeinde, die dies voraussetzt, nicht wirklich offen ist.
Welches Signal wollen wir senden?
Wie war es zur Zeit des Neuen Testaments? An Pfingsten hörten die Menschen in der Menge die wunderbaren Taten Gottes in ihren Muttersprachen, nicht in den damaligen Handelssprachen (Apostelgeschichte 2,6-11). In der Folge überwand das Wirken des Heiligen Geistes die Grenzen zwischen unterschiedlichen Volksgruppen und sozialen Schichten, aber Sprachbarrieren wurden erstaunlicherweise nicht entfernt. Gott scheint unterschiedliche Sprachen wertzuschätzen, sogar bis in die Ewigkeit (Offenbarung 5,9; 7,9).
Was bedeutet das für Kirchen heute? Wenn in einem Gottesdienst verschiedene Sprachen benutzt werden, sei es in Liedern, Gebeten oder der Predigt, fühlen sich Menschen anderer Muttersprache beachtet und willkommen. Auch wenn ihre eigene Sprache nicht immer dabei ist. Satz-für-Satz-Übersetzung von vorne zeigt Gottes Wertschätzung für unterschiedliche Sprachen. Und wenn jemand auf der Bühne eine andere Sprache spricht, wird das Signal gesendet, dass man in dieser Sprache in der Gemeinde mitarbeiten kann.
Kein einfacher Weg
Kürzlich besuchte ich den Gottesdienst einer angolanischen Kirche in Zürich (siehe Foto oben). In letzter Zeit stiessen nicht nur Leute aus anderen portugiesischsprachigen Ländern zu dieser Gemeinde, sondern auch ein paar Deutschsprachige/sprechende. Der Gottesdienst war dank jungen Übersetzenden durchgehend zweisprachig, zu meinem Glück – Portugiesisch verstehe ich kaum. Ich konnte entspannt folgen und fühlte mich, soweit das einem Gast möglich ist, zugehörig.
Der Pastor berichtete mir, dass der Übergang zur Zweisprachigkeit nicht reibungslos verlief. Die Zeitplanung wurde deutlich anspruchsvoller, damit sich die Gottesdienste nicht übermässig in die Länge zogen. Es war auch nicht einfach, die angestammten Gemeindemitglieder von der Änderung zu überzeugen. Aber die Vision, Kirche auch für Menschen anderer Herkunft zu werden, packte nach und nach die Leute. Ausserdem merkten sie, dass ihre heranwachsenden Kinder in der Gemeinde eher einen Platz fanden, seit sie auch die Sprache von Schule und Beruf hörten.
Öffnung wagen?
Wenn eine deutschsprachige Kirche weitere Teile der Gesellschaft ansprechen möchte, kommt sie nicht darum herum, sich die Frage nach den Sprachen zu stellen. Haben wir die Vision, auch Menschen anderer Sprachen zu zeigen, dass wir für sie offen sind? Dass sie nicht nur kommen, sondern sich auch aktiv beteiligen können? Vielleicht schlummern ja bei ihnen Begabungen, die unserer Gemeinde guttun würden. Sind wir bereit, dafür einen Teil unserer Komfortzone einzusetzen? Der erste Schritt muss nicht exotisch sein: einmal eine Predigt auf Hochdeutsch oder ein Lied in verschiedenen Sprachen… Schritte auf dem Weg mit einem Gott, der Sprachen liebt.
Johannes, welche Erfahrungen machst du selbst mit Mehrsprachigkeit in der Kirche?
Seit etwa einem Jahr bieten wir in Winterthur mit einem Team eine Art Entdecker-Bibelstudium für Migranten an, sogenannte Shalom-Treffen. Zuerst schauen wir einen Ausschnitt aus dem Jesus-Film in drei bis vier Sprachen. Anschliessend teilen wir uns in eine Männer-, Frauen- und Kindergruppe auf. Den Erwachsenen verteilen wir den Bibeltext auf Deutsch und in einer Sprache, die sie gut können, meistens sechs bis sieben verschiedene.
Wie verständigt ihr euch?
Die einzige Sprache, mit der alle in Berührung kommen, ist Hochdeutsch. Wenn sich jemand nicht so gut auf Deutsch ausdrücken kann, helfen wir einander, so gut es geht. Bis jetzt haben wir aber nicht für alle Sprachen Teilnehmende, die sicher übersetzen können. Da gibt es eine Hürde, wir haben keine volle Mehrsprachigkeit.
Wie gross ist der Aufwand mit all diesen Sprachen?
Bei der Vorbereitung müssen wir die Clips und die Bibeltexte in den benötigten Sprachen zusammenstellen. Das ist eine Fleissarbeit. Aber wenn wir erleben, wie die Teilnehmenden mehr und mehr von der Bibel verstehen, auch Menschen aus dem Buddhismus und dem Islam, dann lohnt sich dies.
Autor: Johannes Müller (veröffentlicht in «mein Nächster» 2025-1)
Foto: African Link
Erstellt: 01.02.2025