Unterschiedlicher hätten die Aussagen von Jakub und Naod kaum sein können. Die zwei eritreischen Brüder hatten gerade einen Workshop besucht, den meine Frau Barbara und ich leiteten. «Ich lese die Bibel nur auf Tigrinya. Sobald es möglich ist, möchte ich nach Eritrea und das Evangelium verkünden», meinte der eine. Der andere entgegnete: «Nein, ich lese die Bibel auf Deutsch. Wir sind in der Schweiz aufgewachsen, und ich will hier leben.»

Begeistert von Jesus sind beide, aber sie orientieren sich in ganz verschiedene Richtungen. Die Migrationssituation eröffnet unterschiedlichste neue Perspektiven – auch für die christliche Arbeit in der Schweiz.

 

Kirchen werden kulturell durchmischter

Seit ein paar Jahren schliessen sich immer mehr christliche Migrantinnen und Migranten Schweizer Gemeinden an. Sie beweisen viel Durchhaltevermögen, da einige Teile des Gemeindelebens nicht auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Einen anderen Zugang bieten sozialdiakonische Programme, durch die Gemeinden Menschen aus anderen Kulturen ansprechen. Mit geeigneten Brückenangeboten, zum Beispiel Festen an christlichen Feiertagen oder gemeinsamem Bibellesen, können Interessierte den Weg zu Jesus finden und – was oft noch schwieriger ist – Teil einer Gemeinde werden.

 

Der interkulturelle Beauftragte der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA), Egzon Shala, war in einer solchen Kirche auf Christen gestossen, die sein Potential erkannten. Egzons Herkunft aus einer muslimischen Familie aus dem Kosovo – in der Gesellschaft oft als Hindernis erlebt – wurde so zum «Trumpf» für ihn. In seiner jetzigen Funktion trägt er wesentlich dazu bei, dass sich die interkulturelle christliche Arbeit in der Schweiz entwickelt.

Wie kann eine Kirche das Potential von Migrantinnen und Migranten besser nutzen? Entscheidend ist das Signal, dass alle Menschen willkommen sind. Dies geschieht durch das Anbieten von Übersetzungen und die Möglichkeit, sich aktiv ins Gemeindeleben einzubringen, und das nicht erst, wenn sie genug Deutsch können. Dazu braucht es eine einfühlsame Begleitung auf ihrem Weg.

 

Kirchen verschiedener Prägung arbeiten zusammen

Über die letzten Jahrzehnte sind in der Schweiz Hunderte von sehr lebendigen Migrationskirchen und internationalen Gemeinden entstanden. Mit ihrem Enthusiasmus für Jesus und ihrer Überzeugung für Evangelisation können sie Schweizer Gemeinden inspirieren. Am besten eignen sich gemeinsame Aktionen verschiedener Kirchen. Vor einigen Jahren führten eine afrikanische, eine lateinamerikanische und eine Schweizer Gemeinde gemeinsam Strasseneinsätze an der Langstrasse in Zürich durch. In gemischten Teams konnten sie die Leute glaubwürdiger und kulturell sensibler ansprechen. Leider ist dieses Programm wieder eingeschlafen – interkulturelle Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer, aber auch in Zukunft eine grosse Chance.

 

Die zweite Generation wird aktiv

Kaji Ruban ist als kleines Kind mit seiner Familie aus Sri Lanka in die Schweiz gekommen und wuchs hier in einer tamilischen Kirche auf. Als immer mehr Jugendliche die Gemeinde verliessen, wurde er von den Verantwortlichen freigesetzt, um eine Jugendkirche zu gründen. Die Sprache der «Airport Church» ist Schweizerdeutsch, die kulturelle Sensibilität südasiatisch. Inzwischen vernetzt sich die «Airport Church» immer mehr mit Schweizer Bewegungen, was zu einer gegenseitigen Bereicherung führt.

 

Im Raum Zürich Nord entstehen in letzter Zeit noch weitere junge Kirchen mit afrikanischem oder tamilischem Hintergrund. Nicht alle bekommen von ihren Herkunftskirchen dieselbe Freiheit zur Vernetzung, aber das Potential für neue Dynamiken in Gottes Reich wächst und macht Hoffnung. In der heutigen Schweiz, in der 40% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, öffnet Gott so neue Wege für das Evangelium. Am verheissungsvollsten wirken Entwicklungen, bei denen Schweizer und internationale Christen und Christinnen zusammenarbeiten. Sich dafür zu engagieren lohnt sich.

Autor: Johannes Müller (veröffentlicht in Making Mission Possible)

Foto: African Link

Erstellt: 12.9.24